Intelligent – spielfreudig – gekonnt

Das Lortzings-Pasticcio „Man wird ja einmal nur geboren“ im Landestheater Niederbayern

Die größte Gefahr bei einem Pasticcio, in dem das Leben eines Komponisten thematisiert werden soll, ist wahrscheinlich, dass die gesungenen Texte verschiedener Figuren aus den unterschiedlichsten Handlungssituationen (unreflektiert) autobiografisch interpretiert werden; dass also so getan wird, als ob Lortzing selbst direkt durch die Texte seiner Figuren sprechen würde. Das Team des Landestheaters Niederbayern um Regisseurin Margit Gilch und Dramaturgin Swantje Schmidt-Bundschuh, umschifft diese Gefahr jedoch geschickt, indem die meisten Musiknummern von verschiedenen Figuren verkörpert werden oder in verschiedenen Handlungssituationen zum Einsatz kommen.

Jeder darf also mal Lortzing sein. Der Tenor übernimmt schwerpunktmäßig den jungen, der Bass den gealterten und der Bariton dient als Erzähler-Lortzing, der seine eigene Lebensgeschichte wie ein Moderator präsentiert. Und so thematisiert das heitere Spiel im Landestheater Niederbayern gleich zu Beginn die verschiedenen Rollen, Stimmfächer und Charaktere, die Lortzing während seines bewegten Lebens auf und hinter der Bühne verkörpert hat.

„Man wird ja einmal nur geboren“ – dieses Fazit des Knappen Georg aus dem Waffenschmied ist zugleich Titel und Leitmotiv des Abends. Die einzelnen Strophen dieses Liedes werden dazu genutzt, unterschiedlichste Situationen zu charakterisieren: Ein Mal als Mut machender Impetus, der Lortzings Eltern in den Schauspielerberuf wechseln lässt; dann als Lortzings wehmütig-resigniertes Lebensfazit nach dem Tod seiner geliebten Tochter Julie; dann wiederum kalkulierend aus dem Mund eines frühen Kapitalisten und schließlich am Ende als Grundlage eines (für Lortzing so charakteristischen) Extemporierens. Auf diese Weise tritt eine Vielschichtigkeit zu Tage, die wohl kaum jemand in diesem Lied vermutet hätte, die jedoch in Text und Melodie sehr wohl angelegt ist.

Und in diesem Stil geht es weiter: Über die „5000 Taler“ freut sich ein Theaterleiter, der Lortzing um Tantiemen prellt; „Welt du kannst mir nicht gefallen“ singt der Burschenschafter Karl Ludwig Sand während er August von Kotzebue und anschließend sich selbst ins Jenseits befördert; und die (mal wieder hochschwangere) Rosina beklagt ob der Tripelbelastung Kinder/Haushalt/Beruf die „armen, armen Mädchen“. Bei diesem Verfahren sind mitunter kleinere Textanpassungen nötig, doch das stört nicht weiter.

Neben diesen Ereignissen aus dem (auch politischen) Lebensumfeld des Menschen Lortzing, werden zwei seiner Opern detaillierter in ihrer Handlung thematisiert: der Zar und der Wildschütz. Daneben finden auch Undine, Regina und der Waffenschmied Erwähnung. Dass auch der Korpus der verwendeten Musiknummern sich ausschließlich aus diesen bekannteren Werken speist, könnte als leiser Kritikpunkt angebracht werden.

Die inszenatorische Umsetzung ist durchweg großartig: Nie wurde der Standesdünkel der Baronin in „Ihr Weib?“ schöner dargestellt, als durch einen überdimensionierten Reifrock, der den verkleideten Baron physisch überdeutlich auf Abstand hält. Und wie könnten der Schauspielerberuf und seine Absurditäten passender verkörpert werden, als wenn der Marquis von Chateauneuf während seines Liedes dem als flandrisches Mädchen verkleideten Bass elegant den angeklebten Zopf von der Perücke reißt, in der Hoffnung so endlich in den Besitz der angebeteten „seid’nen Locke“ zu gelangen? Die Ironie, die Lortzing in diesen Schmachtfetzen hineinkomponiert hat (eigentlich handelt es sich um ein dramaturgisches Ablenkungsmanöver), kommt so wunderbar zur Geltung. Keine Spur mehr von verstaubter biedermeierlicher Naivität oder beschaulicher Heimatfilm-Gemütlichkeit – hier gibt es keine Längen und nichts, dass ohne doppelten Boden auskäme.

Auf ganzer Linie erfreulich ist auch die Besetzung aus drei Sängerinnen und drei Sängern, deren Gesangskünste, wenngleich nicht hochkarätig, so doch vollkommen zufriedenstellend sind und die allesamt mit großem schauspielerischen Talent und einer unbändigen Spielfreude zu Werke gehen. Wenn die Besetzungen in Lortzing-Aufführungen doch immer so passend wären!

Die Energie der Bühne greift auch auf das Orchester über, das tadellos, engagiert und präzise musiziert. Nach guter Lortzing Sitte wird es auch in die Handlung einbezogen – und zwar nicht nur das Fagott in der Van-Bett-Arie, sondern auch szenisch, z.B. wenn Lortzing nach der Pause von Dirigentin Margherita Colombo zunächst vom Pult (also dem heißersehnten Kapellmeisterposten) vertrieben werden muss, bevor es weitergehen kann. Das Bühnenbild von Dorothee Schumacher und die Kostüme von Lutz Kemper sind traditionell mit augenzwinkernder Überzeichnung. Eine kleine, pragmatische Drehbühne im Hintergrund kann zwischen einer Theaterbühne und einem Wohnzimmer wechseln – den beiden Sphären, die Lortzings Leben primär kennzeichneten.

Insgesamt gelingt durch den verspielten Umgang mit den Musiknummern und den deutlichen Fokus auf dem Ausstellen des Schauspielens in gewisser Weise ein Anschluss an den Stoff der Opernprobe, womit solch ein Konzept sich wunderbar in den humorvollen Umgang Lortzings mit Seinesgleichen reiht. Für Lortzing-Fans ein anspielungsreicher, temporeicher, erfrischender Abend, der unbedingt empfohlen werden kann!

Dana Pflüger, besuchte Vorstellung: 11. November 2017 (Landshut Theaterzelt)