Neustrelitz: „Zar und Zimmermann“ (Kern)

Gern, aber leider viel zu selten, schaffen wir einen Besuch des Neustrelitzer Theaters. Noch nie wurden wir enttäuscht, und so war es auch jetzt wieder. Rundherum glücklich und zufrieden konnten wir den Heimweg antreten, nachdem wir einen Zar und Zimmermann gehört und gesehen hatten, der letztlich kaum einen Wunsch offen ließ.

Etwas sei doch erwähnt: Das Quartett, das das dritte Finale eröffnet, fehlte leider, wie auch andernorts regelmäßig. Ungewöhnlich war die Pause vor dem 1. Finale. Von der Dramaturgie des Stückes her ist das nur schwer nachzuvollziehen, von den Handlungsorten her schon. Denn dass die Hochzeitsfeier auf der Werft stattfindet, leuchtet nicht ein. So wurde in Neustrelitz die Pause für einen Umbau genutzt. Das Publikum begrüßte die geänderte Bühne zu recht mit starkem Szenenapplaus. Den gab es nochmals für eine Tanzfigur im Holzschuhtanz.

Musikalisch geriet die Aufführung erstaunlich gut. Die Neubrandenburger Philharmonie unter Leitung von Markus Baisch spielte nach einigen Anfangsschwierigkeiten in der Ouvertüre beschwingt und mitreißend. Opern- und Extrachor, verstärkt durch Mitglieder von coruso, dem ersten freien deutschen Opernchor (Chorleiter: Gotthard Franke), gaben dem Chorsatz eine erfreuliche Fülle. Die deutsche Tanzkompanie Neustrelitz brachte endlich einmal wieder vollwertiges Ballett auf die Bühne, nicht nur tanzende Chorsänger oder ein Kinderballett. Lang anhaltender Jubel dankte für diese vorzügliche Leistung. Nicht unerwähnt bleiben darf die Choreographie von Kirsten Hocke und das „Solo“ vonRyszard Kalus in der Rolle des Lord Syndham, die er auch gesanglich und darstellerisch hervorragend auszufüllen vermochte.

Damit sei zu den Sängern übergeleitet. Auch sie überzeugten weithin sehr. Die größte Überraschung war für mich Andrés Felipe Oroszco als Peter Iwanow. Er verfügt über eine schöne Stimme mit guter deutscher Aussprache und vermochte nicht nur in den solistischen Auftritten — zu denen ich hier auch die Duette zähle — zu glänzen, sondern auch in den Ensembles, in denen seiner heller Tenor alles überstrahlte. Es macht durchaus Sinn, diese Rolle mit einem Belcanto-Sänger zu besetzen. Über weite Strecken vermochte auch der andere Peter, der von Robert Merwald gesungen wurde, zu überzeugen. Gegen Ende der Oper zeigte er aber leider einige wenige Ermüdungserscheinungen. Sehr gut gefiel mir auch Tobias Pfülb als van Bett, der selbstverständlich den größten Beifall einheimste. Gut, aber im Vergleich zu Oroszco etwas abfallend war Sangmin Jeon als Marquis de Chateauneuf. Die größten Probleme hatte ich mit Anna Maistriau als Marie. Ihre Stimme klang etwas gepresst, was allerdings daran liegen kann, dass sie ihren französischen Akzent nur schwer unterdrücken konnte. Ihre Bühnenpräsenz war allerdings überwältigend. Auch die kleineren Rollen waren gut besetzt: Mario Thomann als Admiral Lefort und Lena Kutzner als — sehr junge und hübsche — Witwe Browe. Von ihr hätte man gern mehr gehört. Wenn man Lortzing einen Vorwurf machen will, dann den, dass er zu wenig für die tiefen Frauenstimmen komponiert hat.

Die Ausstattung von Sabine Lindner überzeugte auf Anhieb und nicht erst im zweiten Bild. Schon die Werft war mit spärlichen Mitteln treffend charakterisiert. Die Personenführung der Regisseurin Birgit Kronshage war wundervoll auf das Stück abgestellt. Vielleicht war die Marie gelegentlich etwas zu keck gezeichnet.

Alles in allem handelt es sich um eine wundervolle Aufführung, die alle Erwartungenerfü llte oder übertraf. Die Inszenierung wird in die nächste Spielzeit übernommen und kann allen nur auf das Wärmste empfohlen werden.

Bernd-Rüdiger Kern, besuchte Vorstellung: 5. Juni 2016